Herr Riedel, zum Ende des vergangenen Jahres haben Sie sich von Ihrem Galeristen David Zwirner getrennt. Warum?
Wir
haben 14 Jahre zusammen gearbeitet, und ich habe in dieser Zeit
miterlebt, wie der Betrieb sich entwickelt hat und immer größer wurde.
Es liegt in der Logik der Sache, dass das Eigeninteresse an dem
Betrieblichen steigt, je größer der Betrieb wird, und der ab einem
gewissen Punkt nur noch mit sich selbst beschäftigt ist. Ich will nicht
sagen, dass die Zusammenarbeit schlecht war. Aber sie hat für mich einen
Punkt erreicht, wo es nicht mehr befriedigend war.
Was war vor 14 Jahren anders? Gab es intensivere Gespräche über Kunst?
Ich
würde das an der Menge festmachen: Als wir angefangen haben, gab es
einen Raum in New York. Mittlerweile gibt es drei. Den Secondary Market
nicht mitgezählt. Dann kamen London und Hongkong dazu. Noch eine Messe
hier, noch eine Messe da. Das frisst Kapazitäten. Das trifft natürlich
nicht nur auf Zwirner zu, sondern auch auf andere Galerien, die sich
mehr und mehr Richtung Auktionshaus entwickeln. Das führt zu Zwängen: Da
muss der Betrieb am Laufen gehalten werden, der enorme Kosten
verursacht, die dann gedeckt werden müssen.
Das heißt, Sie haben eine künstlerische Betreuung vermisst?
Nein,
ich habe das Spiel vermisst. Die Distanz zum eigenen Tun. Viele
Galerien sind gefangen in ihrer Seriosität. Für mich hat die
Galerie zu wenig von meinen künstlerischen Interessen mitgetragen. Ich
kann da jetzt keine konkreten Vorfälle nennen. Das ist eher eine
schleichende Entwicklung.
Was sollte ein guter Galerist
für einen Künstler leisten? Es gibt Künstler, die wünschen sich
einen Dialogpartner, der mit ihnen über die neueste Arbeit spricht und
es gibt die, die erwarten, dass der Galerist ihm die Farbe ins Atelier
bringt.
Das ist immer eine Mischung von menschlichen
und geschäftlichen Verbindungen, was es ab einem gewissen Punkt nicht
wirklich einfach macht. Ich kenne das auch aus anderen Zusammenhängen:
Es fängt freundschaftlich an und endet geschäftlich. Das ist durchaus
komplex. Für mich muss der Galerist jedenfalls keine Farbe kaufen (lacht). Außerdem
bin ich ja nicht galerielos. Ich arbeite weiterhin mit Gabriele Senn in
Wien und Michel Rein in Paris zusammen.
Bei Zwirner stehen Sie nicht mehr in der Künstlerliste, aber über Google ist Ihre Galeriepräsenz noch
erreichbar.
Die gibt es noch? Aha. Das ist ja nett.
Haben Sie so etwas nicht miteinander geregelt?
Nein. Wir haben uns nur auf das Ausstiegsdatum verständigt.
Ist das vertraglich festgehalten?
Mündlich.
Wie alles andere auch?
Wie alles, ja.
Hat Zwirner versucht, Sie zum Bleiben zu bewegen?
Nein, dazu war das Interesse nicht mehr groß genug.
Auch von Zwirners Seite nicht?
Es
gab Klärungsversuche, die mich aber nicht mehr interessiert haben. Und
natürlich gab es auch meinerseits Versuche, Dinge anders zu machen. Zum
Beispiel meine "Vier Vorschläge zur Veränderung von David Zwirner", wenn
auch nur zum Logo der Galerie. Ich will nicht schlecht über die Galerie
reden, weil die Zusammenarbeit grundsätzlich gut war. Sie hat zum
Beispiel auch so Sachen mitgemacht, wie 21 verschieden Einladungen zur
Ausstellung zu drucken, statt nur einer. Und das mehrmals. Die Trennung
ist wirklich der Dynamik des Wachstums geschuldet. Da ist die Frage, ob
man das will oder nicht. Da ich im Moment eher für die Reduzierung
von Wohlstand plädiere und Plastik vermeide, war das für mich
die richtige Entscheidung.
Man muss erst einmal Wohlstand haben, um Wohlstand zu reduzieren.
Genau.
Wohlstand ist sehr verbreitet und es würde an vielen Stellen nicht
wehtun, ihn zu reduzieren. Die systematische Optimierung führt
vielleicht zu volleren Kassen, aber leeren Köpfen. Und schrecklichem
Essen.
Hatte die Entscheidung gegen Zwirner bisher negative Folgen?
Nein.
Sind Kontakte zu Sammlern gekappt?
Nein. Es gibt Sammler, zu denen ich Kontakt habe. Aber den habe ich unabhängig von der Galerie.
Bedeutet die Trennung eine eingeschränkte Messepräsenz?
Da bin ich nicht so hinterher. Ich bin da und es gibt meine Kunst.
Woher
kommt diese Gelassenheit? Ist die erst nach ein paar Jahren in diesem
Markt möglich? Haben Sie einen gewissen Status erreicht und können dem
System daher jetzt mit einem inneren Abstand begegnen?
Auf
jeden Fall. Am Anfang hat es immer eine Faszination irgendwo
reinzukommen, wo man erst mal nicht rein darf. Das war bei der
Kunsthochschule so – da war es am Ende auch enttäuschend, als man
drin war – und das ist im Kunstbetrieb genauso. Das ist
faszinierend, die erste Messe in London mitzumachen, und nach der
dritten ist es dann ein Elend.
Warum ist es ein Elend?
Die
schlechte Luft, der Mangel an Tageslicht, schlechter Empfang, unbequeme
Schuhe und so, der Reichtum und seine Armut. Insofern ist das für mich
kein Ort mehr, an dem ich mich gerne aufhalte. Es gibt ja zum Glück
nicht nur diese Kunstwelt, sondern auch noch andere Welten in der
Welt.
Kunsthochschulen sind solch eine andere
Welt. Sie sind seit dem 1. April 2017 Professor für Malerei an der
Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Die Stelle ist
unbefristet. Ist diese Sicherheit auch ein Grund für Ihre Gelassenheit,
war der Entscheidung gegen Zwirner zuträglich?
Ich
weiß tatsächlich nicht mehr, was zuerst da war, die Zusage für die
Stelle oder die Entscheidung, nicht mehr mit Zwirner zu arbeiten. Die
Professur ist eine gesellschaftliche Anerkennung, unabhängig von
Verkäufen.
Wobei für die Professur der Erfolg auf
dem Kunstmarkt sicher auch eine Rolle spielt, auch wenn es bei den
Probevorlesungen in erster Linie darum geht darzustellen, welche Kunst
man macht und wie man die Lehre gestalten möchte.
Richtig,
es ist ein ausgesprochenes Kriterium bei der Bewerbung, was auch immer
man unter "Erfolg auf dem Kunstmarkt" verstehen will. Wenn mir der
Bürgermeister meiner Heimatstadt zur Professur gratuliert, freut mich
das natürlich, aber eigentlich gratuliert er dem Titel und nicht der
Kunst.
War die Professur für Sie ein Ziel?
Nein,
gar nicht, das hat sich wirklich so ergeben. Lustigerweise war ich noch
als Student mal an der Hochschule in Leipzig eingeladen, um an einer
sogenannten "Messe der Ideen" teilzunehmen. Jede Kunsthochschule
hatte damals einen Studenten nach Leipzig geschickt. Ich kam von der
Städelschule und habe eine Zeichnung vorgestellt und mit einer
Papiertüte auf dem Kopf versucht, die Sache zu erklären. Ein Professor,
an dessen Namen ich mich leider nicht mehr erinnere, hat mir daraufhin
gesagt, ich soll doch mal auf die Straße gehen und schauen, wie weit ich
damit komme. Ich fand das damals ziemlich doof, aber ich war damit auf
der Straße und jetzt komme ich als Professor zurück.
Im
Juni eröffnete Ihre Klasse eine Gruppenausstellung im Projektraum der
Leipziger Kunsthalle G2. Die Ausstellung trug den Titel "Daddy". Ein
Spiegel Ihres Professorenverständnisses?
Der Titel war Studentenentscheidung. Ich habe mich da nicht eingemischt.
Welche Rolle spielen Kunstmarktmechanismen in der Lehre?
Es
gibt da ein großes Interesse bei den Studenten, weil das Thema an der
Kunsthochschule tatsächlich oft ausgeblendet wird. Was mich als
Künstler jedoch interessiert und was ich mit den Studenten teile, ist
die Frage nach der Funktion des Kunstsystems, was weit mehr ist als nur
der Kunstmarkt. Es geht darum, mitzuschwimmen und nicht so tun, als
würde man außerhalb stehen und mit dem Finger auf Zustände zeigen, die
man selbst mitträgt. Mitmachen und durch das Machen selbst den Betrieb
ändern. Ich sehe die Studenten schon als Künstler an, weil es eine
Entscheidung ist, Kunst zu studieren. Man ist schon Künstler und das
eigentliche Studium besteht darin, damit klar zu kommen, Künstler zu
sein. Zu lernen, sich in der Gesellschaft zu positionieren, etwas in
Gang zu bringen. Wie sich das künstlerisch äußert, in welchen Medien,
das ist zweitrangig.
Wie äußert sich diese Haltung strukturell in der Lehre?
Durch
Klassentreffen, Werkgespräche, Zeit zusammen verbringen. Wir schauen
uns Sachen an. Sehen zu, wie der Betrieb abläuft, um dann mit der
eigenen Kunst ein Nadelöhr zu finden. Im letzten Semester waren wir
zusammen in Frankfurt bei meiner aktuellen Museumsausstellung, um zu
sehen wie die Zusammenarbeit mit einer großen Institution funktioniert,
aber auch um zu erkennen, wie es vielleicht anders laufen könnte.
Was ist im Museum Angewandte Kunst von Ihnen derzeit ausgestellt?
Formen
der Selbstbeschreibung. Im Zentrum steht dabei die "Signetische
Zeichnung", die während meiner Studienzeit entstanden ist und mein
Interesse an sich selbstherstellenden Formen sehr deutlich
vorformuliert. Dabei geht es um die Erfindung einer Signatur, dem
Signet, das, statt Kunstwerke zu signieren, selbst Kunstwerk ist. Wie
sich dann aus dem Signet ein Werkkomplex entfaltet, in dem die
Werkbeschreibung zum eigentlichen Werk wird, das ist Thema der
Ausstellung. Ähnlich meiner "CV (Curriculum Vitae)"-Ausstellung in der
Kunsthalle Zürich im letzten Jahr und auch meiner Antrittsrede in
Leipzig zu "Onanie – das sich selbstbefriedigende Kunstwerk und seine
sexuellen Fantasien". Hermann Nitsch, bei dem ich am Städel studiert
habe, hatte ich damals die "Signetische Zeichnung" vorgelegt und zu
hören bekommen, Kunst sei keine Onanie. Ich denke doch. Für die
komplexe Arbeit, die aus über tausend Zeichnungen besteht, hat sich Max
Hollein eingesetzt und das Städelmuseum hat sie 2016 angekauft. Was mich
freut und auch meine Mutter, in deren Garage die Arbeit lange lagerte.
Im
April haben Sie zusammen mit der Künstlergruppe Famed in der Leipziger
Galerie ASPN ausgestellt. Wäre sie eine Alternative zu Zwirner?
Nein.
Die Ausstellung war ein Experiment, weil die Galeristin das
Galerieprogramm mit Gastkünstlern kombinieren wollte. Menschlich hat das
gut gepasst, weil wir Künstler und die Galeristin da Lust drauf
hatten.
Sie waren auch das erste Mal in Leipzig als Künstler sichtbar
Durchaus.
Meine erste größere Präsenz ist im kommenden Februar. Da habe ich im
Leipziger Museum der bildenden Künste eine Ausstellung, die ich zusammen
mit dem Museumskurator Marcus Hurttig konzipiere. Sie wird
"Malerei" heißen.
Eine Antwort auf die
Diskussion um die Zukunft der Leipziger Malerei? Manche haben Ihre
Berufung an die Hochschule für Grafik und Buchkunst als endgültigen
Traditionsbruch mit der Leipziger Malerei gelesen, wobei auch die Klasse
ihrer Vorgängerin Astrid Klein explizit medienübergreifend ausgerichtet
war. Wurden Sie mit dieser Diskussion konfrontiert?
Mir
wurde ins Gesicht gesagt, dass man sich jemand anderen gewünscht hätte.
Das ist auch o.k., da ehrlich seine Meinung zu äußern. Ich finde es sehr
schön, die Tradition von Astrid Klein fortzusetzen, die die Klasse auch
als eine für bildende Kunst verstanden hat.
Haben Sie jemals gemalt?
Habe
ich jemals gemalt? Ja, würde ich schon sagen. Nur nicht im Leipziger
Verständnis. Ich habe auch gepinselt, aber das war dann eher mit
Kleister für Poster. Quasi mit farbloser Farbe.
In
der Leipziger Ausstellung bei ASPN waren Sie mit Geldscheinen, der
sogenannten Riedel-Währung, vertreten, deren grafische Grundlage die
komplette E-Mail-Korrespondenz mit der Galerie Zwirner bildet. Wie
generiert sich das Layout?
Die Grundlage bildet die
Korrespondenz mit der Galerie Zwirner. Dadurch sind 42 verschiedene
Scheine entstanden. Es gibt also so viel verschiedene Motive wie Text da
war. Die Layouts entsprechen den Euroscheinen und sind auf originalem
Banknotenpapier gedruckt. Der Text ist in vier Schreibrichtungen
übereinander gesetzt und durch die Vergrößerung der Zahlen im Text
entsteht diese komplexe Grafik.
Auf dem 20 Riedel-Schein sind nur einzelne Wörter lesbar, jedoch keine größeren Zusammenhänge rekonstruierbar.
Die
Scheine sind ja auch nicht zum Lesen gedacht. Es wird noch einen
Katalog geben, daran schreibe ich gerade. Das wird quasi eine
Inhaltsangabe der Mailkorrespondenz beziehungsweise eine
Beschreibung des Geldes.
Ist die Galerie mit dieser Veröffentlichung einverstanden? Oder könnte es da Probleme geben?
Könnte es, weil ich generell nicht frage. Das entspricht nicht meiner Haltung als
Künstler.
Es wird also einen ganzen Werkkomplex rund um den Galerieausstieg geben?
Meine
Kunst hat sich so entwickelt, dass ich das System selbst und Vorgänge
im System aufgreife und sich daraus Werke ergeben, die dann wiederum das
System verändern. Die Geldscheine sind ein großer Werkkomplex. Es sind
45 Millionen Riedel, wenn man das zusammenzählt. 5 Riedel kosten 5 Euro,
und der Riedel rollt. Das war für mich eine Art Statement, das ich
David Zwirner geschickt habe. Eine Ausstellung fürs Portemonnaie.
Aber Ihr Ausstieg bei Zwirner hatte nicht das vordergründige Ziel, diesen künstlerisch weiter zu verarbeiten?
Könnte man auch so sehen.
Warum haben Sie die Trennung von Zwirner bisher nicht öffentlich gemacht?
Sie
ist ja öffentlich und es geht ja nicht darum, irgendetwas aufzudecken.
Ich habe die Trennung und auch die Zusammenarbeit genutzt, um jetzt mein
eigenes Geld zu drucken. Was dann auch wieder zum Verkauf steht, zum
Beispiel im Oktober bei Michel Rein in Paris zeitgleich mit der FIAC "je
fiace tu fiaces il/elle fiac nous fiaçons vous fiacez ils/elles
fiacent". Kennt man ja.
Was kennt man?
Dass
die Interessen an selbstreferenziellen Systemen immer stärker werden
und immer mehr mit sich selbst beschäftigt sind. Das ist nicht nur in
der Kunst so, das ist generell so. Das ist auch in meinem Werk so. Das
dreht sich auch immer mehr um sich selbst. Oder hat sich schon immer um
sich selbst gedreht.
Für Ihre erste Ausstellung
"Neo" bei Zwirner in New York haben Sie die zuvor stattgefundene
Ausstellung von Neo Rauch abfotografiert und auf mobile Displays
montiert, die dann neu arrangiert werden konnten. Hat Neo Rauch jemals darauf
reagiert?
Ich
habe damals mit seinem Galeristen Judy Lybke von Eigen+Art gesprochen
und ihm gesagt, dass ich das und das machen werde. Das war scheinbar
o.k. für ihn. Eines dieser Werke kommt jetzt übrigens nach Leipzig ins
Museum, direkt neben den Rauch-Raum. In seinem Katalog zur Ausstellung
in New York war der Titel eines Aufsatzes damals "Painters, Germans and
other Renegades". Alphabetisch geordnet heißt es in meinem Katalog dann
stattdessen "and Germans other Painters, Renegades".