Der
CV ist heute die allgemein akzeptierte Form der Selbstdarstellung und
führt vor, wie ein Einzelner sich in ein System einschreibt. Er ist
Leistungsausweis, Spiegel und Legitimation in Einem. Dabei verschweigt
er immer mehr, als er Preis gibt. Das Nicht-Erwähnte bestimmt das
Aufgelistete in gleicher Weise, wie das Verdrängte die Normalität
definiert. Nicht zufällig steht am Anfang von Michael Riedels
Künstlerkarriere die eigene Signatur. 1994 unterschreibt er ein
entworfenes Signet und signiert seine eigene Signatur. Mit dem Akt des
Bezeichnens steckt er genau den Zwischenbereich ab, wo Kunst fortlaufend
stattfindet. Die erste Handlung des jungen Künstlers war es denn auch,
seinen Namen im Rahmen einer Performance auf Michael S. Riedel zu
erweitern, sich also anders zu bezeichnen. Darauf folgte eine nie
stattgefundene Ausstellung in Paris, die er jedoch durch eine Zeitung
besprechen liess. Den Artikel hängte er in der Städelschule, wo er
studierte, an die Bibliothekstür, welche als Anschlagbrett für
berufliche Erfolge diente und entdeckte damit die Eigendynamik des
Textmaterials. Somit war eine Karriere geboren, die auf Leerstellen im
System baute: das signierte Signet war ein Kunstwerk, das nur auf sich
selbst verwies; die Erweiterung des Namens um den Buchstaben S verwies
auf die Millionen von Möglichkeiten, ein anderer zu sein; und die
Nicht-Ausstellung verwies auf das Nicht-Gemachte, welches jeder CV
ausblendet. Eine Kunst nahm hier ihren Anfang, die uns bis heute
gleichzeitig vertraut ist und merkwürdig fremd. Es ist eine Fremdheit
von Innen, eine buchstäbliche Fremdsprache. In diesem Sowohl-als-auch
und seiner produktiven Instabilität liegt die Schönheit von Riedels
Kunst.
Wie jeder Eintrag in den CV einen neuen Einstieg in einen Lebenslauf simuliert, so wird auch in der Ausstellung CV
der Eintritt mehrmals wiederholt: Die Eingangssituation der Kunsthalle
Zürich wird drei Mal nachgebaut, so dass die Besucherinnen und Besucher
immer wieder von Neuem die Ausstellung betreten. Das führt umgekehrt
dazu, dass der ursprüngliche Eingang selbst nicht Eingang, sondern
Ausstellung ist. Hier gibt es kein Zurück mehr, auch wenn man die
Ausstellung nicht besuchen sollte. Dieses Prinzip des Wieder-Eintritts
liegt als wiederkehrende Bewegung dem ganzen Werk zugrunde, und Riedel
wendet es, wie die Ausstellung CV über 1000 m² darlegt, auf
unterschiedliche Bereiche an. So hat er von 2000 bis 2006 gemeinsam mit
Dennis Loesch und einer Gruppe von Freunden in Frankfurt am Main im
Rahmen des Ausstellungsraumes «Oskar-von-Miller Strasse 16» die Sprache
der Kulturindustrie nachgesprochen: Ausstellungen wurden wiederholt,
Lesungen wieder gelesen, gefilmte Filme vorgeführt, Konzerte
nachgestellt, bestehende Clubs «geclubt», Performances re-performt,
Reden nachgesprochen und so weiter.
Dieselbe Methode hat Riedel in die Welt des Publizierens übertragen
und dabei Bücher neu «gebüchert», Plakate als Archive verwendet,
gedruckte und nicht gedruckte Plakate zu Büchern gebunden, bestehende
Zeitschriftformate neu gefüllt oder farbige Publikationen in ihre vier
Farben (CYMK) aufgeteilt.
Als weiteren Schritt hat Riedel in den letzten Jahren sein
umfangreiches Material, das sich wie von Zauberhand endlos erweitert,
den digitalen Werkzeugen zugeführt: Computerstimmen, Ordnungsprogrammen,
3D-Tools, Spracherkennungssoftware u.a.m. Dabei nutzte der Künstler
diese Programme für nicht dafür vorgesehene Vorgänge. Zum Beispiel
ordnete er alle Buchstaben eines Textes alphabetisch an und liess diesen
neuen Text von einer Computerstimme einlesen. So entstand ein
Lautgedicht, das den ursprünglichen Text buchstabengetreu wieder gab,
sich selbst aber fremd blieb. Während also auf der unteren Etage die
Ausstellung CV in das Dreigestirn «Idee – Aktion – Vermittlung»
einführt, so breitet sich auf der oberen Etage die Selbstbeschreibung
des Kunstsystems in Form von Malerei, Grafik, Installation, Ton und
Partizipation aus. Dort entsteht dieser Zwischenbereich, der Kunst
genannt wird, das heisst dieses weite Feld voller Untiefen und
Überraschungen zwischen Gegenwart, rückwirkender Vergangenheit und
verheissendem Versprechen.
Zur Ausstellung erscheint bei Walter König ein Katalog (dt./engl.)
mit einem Text von Michael Riedel sowie Installationsansichten der
Ausstellung in der Kunsthalle Zürich.
Die Katalogvernissage ist am Sonntag, 11. Juni 2017 um 16 Uhr,
begleitet von einem Gespräch zwischen Daniel Baumann, den Kunstkritikern
Silke Hohmann und Jörg Heiser sowie Michael Riedel.